AulaAm 9. Januar 2019 fand an der ZHAW in Wädenswil der 5. IAS Tag der Lehre zum Thema «Pimp my Unterricht» statt.

Mit dem Fokus auf den Präsenzunterricht hat das IAS einen spannenden Kontrast zu den aktuellen Diskussionen rund um die digitale Transformation in der Lehre gesetzt. Ein Kontrast, der offenbar den Zeitgeist traf, denn über 130 Teilnehmende aus allen Departementen der ZHAW und anderen Bildungsinstitutionen pilgerten für den Tag nach Wädenswil. Die Frage nach den Merkmalen eines guten Unterrichts steht jedoch keinesfalls im Widerspruch zu den aktuellen Trends, denn gute Lehre entsteht nicht alleine durch gute didaktische Konzepte, Methoden und Tools, sondern eben auch durch die Menschen und die Orte die das Lehren und Lernen mitgestalten. Innovationen im Präsenzunterricht werden in diesen Tagen selten thematisiert, obwohl die Mehrheit des Unterrichts nach wie vor in Präsenz stattfindet.

Daniela Lozza, Verantwortliche E-Learning am ZHAW Departement Life Sciences und Facility Management, hat den IAS Tag der Lehre besucht und einen Rückblick auf die Tagung verfasst.

Lernende aktivieren, motivieren und fördern

Den Start machte Armin P. Barth, Dozent für Fachdidaktik Mathematik an der ETH Zürich. In seinem Referat zur Motivierung und Förderung der Lernenden verriet er dem Publikum, wie er sich auf seine Mathematik-Lektionen am Gymnasium vorbereitet und welche Verhaltensregeln er aufstellt. Ähnlich wie im letzten Referat des Tages von Dominik Refardt, machte Barth darauf aufmerksam, wie wichtig es für die Lehrperson ist, sich für das Fach zu begeistern und sich vor jeder Lektion selbst im Klaren zu sein, welche Schlussfolgerungen man den Studierenden mitgeben möchte.

BarthAnschliessend räumte Barth mit gängigen Mythen zum Thema Lehren und Lernen auf. Er wies beispielsweise darauf hin, dass der Unterricht nicht alleine über den Lernerfolg entscheidet. Weiter argumentierte er, dass bei Studien die zeigen, dass kleine Klassen besser lernen oft auch die didaktischen Methoden verändert wurden und folglich keine klare empirische Evidenz im Hinblick auf den Effekt der Klassengrösse vorhanden ist. Hingegen betonte er, dass der Vergleich von falschen und richtigen Lösungen zu einem besseren Lernerfolg führt, da Studierende für die Fehlererkennung das Konzept verstehen müssen. Interessant waren auch seine Aussagen, dass Sozial- und Lernkompetenzen nicht unabhängig vom Inhalt erlernt werden können und dass Gelerntes nur mühselig (wenn überhaupt) auf ein neues Gebiet übertragen werden kann.

Seine Argumente, dass mehr Digitalisierung im Unterricht nicht unbedingt besser ist waren zwar nachvollziehbar, aber die gezeigte Studie der University of California (2009) verglich das Studium von Visualisierungen am Bildschirm mit dem Anfertigen handschriftlicher Skizzen. Es wäre interessant zu sehen, wie der Lernerfolg ausfällt, wenn die Studierenden die Visualisierungen am PC selber erstellen statt sie nur anzuschauen. Die erwähnte Studie ist allerdings eine nützliche Referenz für die 3D-Chemie App, die Petra Lustenberger am Nachmittag vorstellte.
Zum Abschluss teilte Barth einige seiner lernwirksamen Methoden mit dem Publikum. Dazu gehören vor allem das Abholen des Vorwissens und die kognitive Aktivierung, zu der später Manuel Jordi und Thomas Ott noch einige weitere Tipps teilten. Dabei geht es vor allem darum, Aufgaben in eine spannende Geschichte zu verpacken. Mit einem solchen Auftrag sollen die Studierenden motiviert werden die Grenzen ihres Wissens auszuloten und neues Wissen selbst zu konstruieren. Dabei können Techniken wie Inventing with contrasting cases (ICC) sowie grafische Visualisierungen und mentale Tools helfen. Weitere wirksame Lernmethode sind Selbsterklärungsaufgaben und Metakognition (Reflexion) in Kombination mit individuellem Feedback, z.B. in einem Online-Forum.

Die Perspektive der Studierenden einnehmen

Manuel Jordi, Kommunikationsberater bei Farner Consulting und ehemaliger Radiomoderator, beglückte uns mit einigen Tipps für eine wirkungsvolle Kommunikation. Um das Publikum für ein Thema zu gewinnen startet man mit einer Frage, welche die Situation persönlich und nachvollziehbar macht, wie beispielswiese: Ist Ihnen auch schon passiert? Geht es ihnen auch so? Ist Ihnen das auch schon aufgefallen?

JordiIm Anschluss stellte er das Modell «See, Think, Do, Care» vor, das Farner Consulting für die Kampagne «Made Visible» anwendete. Statt den Mahnfinger zu erheben und darauf hinzuweisen, dass Sicherheit und Sichtbarkeit im Verkehr wichtig sind wurde nach Themengebieten gesucht, welche die Zielgruppe interessieren, wie z.B. Joggen im Winter. Diese Themen wurde in Social Media aufgegriffen und mit Tipps für gut sichtbare Kleidung angereichert. Dasselbe Prinzip lässt sich gemäss Jordi auch auf den Unterricht anwenden. Dabei sollte man die Studierenden abholen (See), das eigene Denken anregen (Think), sie selber machen lassen (Do) und das Thema zu ihrem eigenen machen (Care). Dieses Vorgehen kann auch helfen, sich als Lehrperson in die Perspektive der Studierenden zu versetzen; einer der «Geheimtipps» von Dominik Refardt, Dozent am Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen.


Positive Anker für Stresssituationen einstudieren

Einen ganz anderen Ansatz wählte Prof. Dr. Christoph Negri vom Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW. Er erteilte den Anwesenden Tipps, wie sie sich mental auf die Lernsituation vorbereiten können und verglich dafür den Auftritt einer Lehrperson mit dem Penaltyschiessen im Fussball. Während eine gewisse Anspannung hilft, fokussiert und präsent zu sein besteht die Herausforderung darin, den Aktivierungszustand bei Bedarf regulieren zu können. Zu viel Routine führt nämlich zu Unachtsamkeit und bei zu viel Nervosität reagieren wir ängstlich oder gereizt.

NegriBei Stress ist es daher wichtig, dass man: 1) die Vorlaufsymptome des Körpers rechtzeitig erkennt, 2) ein klares Stoppsignal dazwischenschaltet und 3) adäquat mit einem positiven Anker reagiert. Um aus einer schwierigen Situation auszubrechen kann man z.B. tief durchatmen und die Aufmerksamkeit auf den Moment lenken. Anschliessend kann man mit einer der drei Grundtechniken (sog. Coping Strategien) Atmung, Selbstgespräche und Visualisierung auf die Situation reagieren. Dieser Ablauf sollte laufend geübt werden, damit man in einer Stresssituation auf einen automatisierten Handlungsablauf zurückgreifen kann, da das Gefühl der Kontrolle Sicherheit bietet.

DIY: Lernen visualisieren und räumlich erfahrbar machen

Den Abschluss des Vormittags machte Renato Soldenhoff, Dozent an der ZHdK mit einem Erfahrungsbericht aus den Do it Yourself (DIY) Workshops. Wenn Studierende in seinen Unterricht kommen um zu arbeiten, nutzt Soldenhoff das sog. Timeboxing, bei dem die Teilnehmenden in kurzen Zeiteinheiten arbeiten. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Visualisieren, weil das Gestalten und Verorten dabei hilft, Gedanken, Ideen und Zusammenhänge sichtbar zu machen und das Aushandeln eine Konsolidierung und Priorisierung der Inhalte erfordert. Zudem bieten Visualisierung eine gute Grundlage für Diskussionen und Reflexion. So lautet denn auch Soldenhoff’s Tipp, Dinge möglichst schnell an die Wand zu bringen um sie räumlich erfahrbar zu machen.

Da sich die Teilnehmenden dabei exponieren ist es wichtig, dass der Prozess mit einer Rückmeldung abgeschlossen wird und das Feedback für die Teilnehmenden weiterverwertbar ist. Zum Schluss hat Soldenhoff noch zwei Tipps für eine aktivere Partizipation mitgebracht: Einerseits sollten sich die Teilnehmenden im Raum aktiv bewegen, andererseits kann man ihnen verschiedene Rollen zuteilen und sie damit beauftragen, die entsprechende Perspektive in die Diskussion einzubringen. Und weil er ein Mann der Taten ist, hat Soldenhoff dies gleich selbst mit der Verlosung von Publikumsfragen demonstriert.

Wirklichkeitsbezug durch konstruktivistischen Unterricht

Am Nachmittag wurden wir zurückversetzt in den Physikunterricht. Prof. Dr. Thomas Ott, Dozent am IAS, berichtet von seiner selbst ernannten «Kammer des Schreckens» und fragte sich, was es braucht, damit seine Botschaft bei den Studierenden ankommen. Er hatte nämlich festgestellt, dass die Studierenden komplexe Formeln lösen konnten, das physikalische Konzept dahinter aber nicht verstanden. Lag es vielleicht daran, dass die Aufgaben keinen Wirklichkeitsbezug hatten? Oder wie Barth es nannte; waren die Aufgaben nicht in eine spannende Geschichte verpackt und schafften es daher nicht, die Studierenden kognitiv zu nicht aktivieren? Thomas Ott stellte sein konstruktivistisches Unterrichtskonzept vor, das sich verschiedener Methoden bedient, die das Wissen als bedeutungsgebender Konstruktionsprozess unterstützen, wie z.B. Problem Based Learning mit Hilfe von Kriminalfällen und gamifizierte Aufgaben, welche dazu geführt haben, dass die Studierenden besser Lernen als früher mit den Übungsblättern.

Kompetenzorientiertes Lernen mit case-based-learning

Von der Physik ging es weiter zu einer anderen Art von «Schrecken». Ilke Hasler führte uns in einer packenden Geschichte in die Welt der Hebammen ein und outete sich dabei als talentierte Geschichtenerzählerin. Nachdem sie unsere Aufmerksamkeit gewonnen hatte, berichtet Sie über ihre Erfahrungen mit dem case-based-learning in der Hebammenausbildung an der ZHAW.

HaslerAuch diese interaktive Lehr- und Lernmethode basiert auf dem Konstruktivismus. Sie wird vor allem in der Medizin und in Gesundheitsberufen angewendet um Studierende auf die Berufspraxis vorzubereiten. Wichtigste Voraussetzung für case-based-learning sind nebst klinisch relevanten und authentischen Fällen ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen der Lehrperson und den Studierenden sowie eine Kultur, in der man aus Fehlern lernen kann. Die Auf- und Vorbereitung der Fälle ist eine anspruchsvolle Angelegenheit die jedoch durch authentische, interaktive Szenarien belohnt wird. Hier findet definitiv eine kognitive Aktivierung statt und die Studierenden müssen vernetzt denken um eine Verdachtsdiagnose stellen zu können. Auch die von Barth erwähnten Lernmethoden der Selbsterklärung und Metakognition kommen zum Zuge, wenn die Studierenden ihr Vorgehen auf der Grundlage der Evidenzen erklären und reflektieren.


Moleküle bauen mit der 3D-Chemie App

Petra Lustenberger vom IAS stellte die neu entwickelte 3D-Chemie App vor. Die App ist eine Art digitaler Modulkaubasten mit der Lehrperson und Studierende einzelne Moleküle oder auch komplexe Modelle wie z.B. eine DNA dreidimensional via App oder Webseite darstellen und verändern können. Die Molekülkonfigurationen können aus Datenbanken hochgeladen werden und die Daten aus der App könnten auch für den 3D-Druck genutzt werden.

Aktive Beteiligung am Unterricht dank Anreizsystem

Dr. Miriam Schirmer berichtete über ihre Erfahrungen mit einem Anreizsystem zur Förderung der aktiven Beteiligung der Studierenden am Unterricht. Bei der Frage nach dem Mehrwert des Kontaktunterrichts wurden vor allem zwei Punkte genannt: 1) der soziale Austausch und 2) die Motivation, welche die Lehrperson durch ihre Begeisterung für das Thema fördern kann. Studierende schätzen am Präsenzunterricht auch den Prozess des gemeinsamen Erarbeitens von Wissen und den Austausch im Gruppenprozess. Um den Präsenzunterricht entsprechend aufzuwerten, experimentiert Schirmer seit 2016 mit einem Bonussystem, bei dem Studierende für Beiträge im Unterricht Punkte sammeln können. Durch dieses Anreizsystem ist der Unterricht lebendiger geworden und Schirmer hat noch weitere Anreizsysteme getestet, z.B. um das Teilen von Notizen oder Beiträge in online Diskussionsforen zu fördern. Zudem notieren die Studierenden jeweils am Ende einer Lektion auf einem Selbsteinschätzungsformular was sie zum Unterricht beigetragen haben und was sie für Schlussfolgerungen mitnehmen.

Projektarbeiten begleiten und Transfer sicherstellen

Dietlinde Arbenz vom Department Gesundheit der ZHAW gab einige Tipps für die Begleitung von Projektarbeiten und berichtete aus dem Bachelorstudium Ergotherapie. Dabei betonte sie mehrfach, dass man möglichst die lokalen und internen Ressourcen nutzen sollte, z.B. eigene Projekte, Tools oder Infrastrukturen. Die Ergotherapie-Studierenden arbeiten jeweils in 2er oder 3erTeams an Projekten und müssen viel Engagement mitbringen, da sie sich ihre Projekte selber suchen müssen. Arbenz argumentierte, dass man den Studierenden durchaus etwas zutrauen könne. Während des Projektes tauschen sich die Gruppen untereinander aus, werden gecoacht, erhalten eine Supervision und feiern anschliessend einen gemeinsamen Abschluss. Wichtig fand ich den Hinweis, dass das erworbene Wissen aus den Projekten wieder zurück an die ZHAW fliesst. Dazu organisieren sie Workshops und machen ähnlich wie in Soldenhoff’s Workshops entstandene Produkte wie z.B. Poster sichtbar.

Man braucht eine Prämisse

Zum Schluss teilte Dr. Dominik Refardt, Dozent am IUNR und leidenschaftlicher Entertainer, seine sieben Regeln für eine gute Vorlesung mit uns. Die Legitimation dafür erhielt er von seinen Studierenden die ihm seit Jahren positives Feedback zu seinem Frontalunterricht geben. Er liess, wie er selbst sagte, die Katze gleich aus dem Sack und präsentierte die einzige und wichtigste Regel, nämlich die der Prämisse: Die Prämisse ist die Idee, die dem Vorhaben gedanklich zugrunde liegt. Eine Prämisse besteht aus einem vollständigen Satz und sagt kurz und prägnant, was die Studierenden wissen müssen. Refardt argumentierte, dass man etwas nicht unterrichten kann, wenn man es nicht in einen Satz fassen kann. Daher sollte jedes Thema, jede Folie sowie jede Grafik und jedes Diagramm eine Prämisse haben.Seine weiteren Regeln knüpften an den Empfehlungen der Vorredner an, z.B. die Studierenden kognitiv zu aktivieren oder ihre Perspektive einzunehmen. Wertvoll fand ich den Hinweis, dass sich Lehrpersonen im Unterricht darauf konzentrieren sollten, nicht zwingend Wissen, sondern Kompetenz zu demonstrieren. Zum Schluss machte Refardt darauf aufmerksam, dass man vor allem sich selbst sein soll. Auch andere Referierende plädierten an diesem Tag immer wieder dafür, dass man jene didaktischen Methoden wählen sollte die einem Spass machen.

Fazit

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass der Präsenzunterricht einem Auftritt gleicht, der gut vorbereitet und durchdacht sein will. Einige fühlen sich auf dieser «Bühne der Lehre» wohler als andere, doch glücklicherweise gibt es zahlreiche didaktische Methoden die es erlauben, den Präsenzunterricht so zu gestalten, dass er dem Thema und der eigenen Persönlichkeit gerecht wird – schliesslich ist es gerade dieser persönliche Touch und die Begeisterung für das Fachgebiet, welche die Studierende in die Hörsäle lockt. Die zahlreichen Beispiele am IAS Tag der Lehre haben diese Methodenvielfalt gut widergespiegelt. Nichtsdestotrotz haben sich einige Faktoren herauskristallisiert, die für einen erfolgreichen Präsenzunterricht entscheidend sind. So spielt die Aufbereitung spannender Szenarien und Aufgaben eine wichtige Rolle, damit der Funken auf die Studierenden überspringt. Auch das Hineinversetzen in die Studierenden und das Abholen des Vorwissens sowie Feedback und die oft als mühsam empfundene Metakognition und Reflexion sind wichtige Puzzleteile die zum erfolgreichen Lernen im Präsenzunterricht beitragen.

Zuletzt geändert: Mittwoch, 16. Januar 2019, 14:19